Katalogtext
Nicole Kaffanke zur
Industriekultur-Ausstellung
Verfasst
von Helga Semmler, M.A., am 3.6.2002
Eine Frau steht am Rande des Tagebaus Hambach, immer wieder dieses
gigantische „Loch“ fotografierend. Sie, Nicole
Kaffanke, ist fasziniert von der Urgewalt der Erde ebenso
wie von der Kraft der modernen Giganten, der Bagger, die
sich dieses Stücks Erde bedienen. Die Schaufelräder
rotieren, arbeiten sich voran, schürfen mit einem
riesigen Energieaufwand für eine neue Energie, legen
dabei die Erdschichten bloß und verändern ihre
Strukturen.
SCHNITT.
Nicole Kaffanke geht den Dingen gerne auf den Grund. Sie kratzt an
der Oberfläche, maltechnisch gesehen, und stellt so eine
Verbindung zur Arbeit der Bagger her. Tiefschürfend,
aufdeckend, entlarvend holt sie in tieferen Schichten
liegende Ölfarben wieder ans Licht und erzeugt dabei auch
neue Strukturen. Energiegeladen, weil gefesselt vom ständigen
Wechsel der Erscheinungsformen im Tagebau, bringt sie
Momentaufnahmen auf den Malgrund. Impulsgeber sind in der
Regel eigene Fotos, die sie digital bearbeitet, verändert
und übermalt. Sie hebt hervor, verdeckt oder lässt
Details verschwinden, nennt die Arbeit
„Struktief“ (siehe Abbildung) und übersetzt
die Dynamik des Braunkohleabbaus in ihren Bildern.
Ihre kreisenden Gedanken gewinnen an Form in und mit der Farbe
durch ihre rotierenden Linien, die den Anschein erwecken
als sei das Bild selbst in Bewegung. Von innen nach außen
entwickeln sich vom Zentrum der Rotation helle, elektrizitätsgeladene
Blau- und Brauntöne, ihrem Inbegriff von Kohlefarbe, zu
dunklen Rändern. Die kalte, dunkle Kohle steht damit der
dynamischen, strahlend hellen Energie als Endprodukt gegenüber
und in den Köpfen des Betrachters rotieren die Gedanken
genau wie die Schaufelräder auf den Bildern. Alles ist
eben in der Kaffanke so wichtigen Bewegung, aber alles hat
auch seine Grenzen. Diese werden den Baggern von
Landschaft, Technik und Politik gesetzt, Nicole Kaffanke
setzt sie sich selbst, als Rahmen, als vertrautes Gerüst,
aber mit sich über den Bildrand hinaus öffnenden
Begrenzungslinien, die schon wieder zu neuen Themen
aufzubrechen scheinen.
Alles hat seine zwei Seiten, nicht nur die in Positiv oder Negativ
benutzten Fotos. Die Faszination am Tagebau mit seinen ständigen
Veränderungen, die nach Meinung Kaffankes eher etwas
entstehen lassen, als etwas wegzunehmen, täuschen sie
nicht darüber hinweg, dass Raubbau an der Erde betrieben
wird. Die Gegensätzlichkeit von jahrmillionenlangem
Entstehen und dem vergleichsweise zeitrafferartigen Abbau
des Rohstoffs ist die Kehrseite einer sichtbaren und
nachvollziehbaren Ästhetik. Nicole Kaffanke will
Augenblicke bewahren, Ausschnitte einer Entwicklung, quasi
ein Tagebuch des Tagebaus. Die Fotos sind dabei ihr
digitales Gedächtnis und gleichzeitig der Fundus für
neue vielschichtige Bildbearbeitungen. Und diese
Vielschichtigkeit wird das Ergebnis neuer Arbeiten sein,
wie auch das der Bagger in Hambach.
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